Integration durch Medien - Aufgabe oder Auslaufmodell
Integration durch Medien – Aufgabe oder Auslaufmodell? Medienethische Herausforderungen für die digitale Gesellschaft
Auf der Jahrestagung des Netzwerks Medienethik in Kooperation mit der Fachgruppe Kommunikations- und Medienethik der Deutschen Gesellschaft für Publizistik und Kommunikation wurde am 16. und 17. Februar 2017 in München über den Erziehungsauftrag „Integration durch Massenmedien“ aus praktischer wie auch theoretischer Sicht lebhaft diskutiert.
In seinem Eröffnungsvortrag wies Prof. Dr. Alexander Filipovic (Hochschule für Philosophie München) auf den von den Alliierten nach dem Zweiten Weltkrieg oktroyierten Bildungsauftrag der Massenmedien zur demokratischen Umerziehung der deutschen Bevölkerung hin. Bereits 1964 betonte der Kommunikationswissenschaftler Ronneberger die zunehmende Bedeutung der Massenmedien als Integrationsfaktoren moderner Gesellschaften. Gesetzlich geregelt wurde diese Integrationsfunktion dann im 2. Rundfunkurteil von 1971. Im Zeitalter der Digitalisierung und der „Desintegration durch soziale Medien“ ergeben sich für Filipovic drei zentrale medienethische Fragen: 1.) Ist es Aufgabe der Massenmedien dafür zu sorgen, dass eine Gesellschaft als Einheit fortbesteht? 2.) Ist es Aufgabe der Massenmedien Personengruppen in die Gesellschaft zu integrieren? und 3.) Ist es Aufgabe der Massenmedien unterschiedliche Akteure und verschiedene Einheiten zu einem Ganzen zu verbinden?
Steffen Jenter (Bayerischer Rundfunk) und Dr. Tobias Eberwein (Österreichische Akademie der Wissenschaften, Wien) diskutierten über die Aufgaben und die Ethik des Journalismus in Zeiten von Migration. Jenter betonte, dass Medien über die Themen „Flüchtlinge und Migration“ wie bei jedem anderen Thema berichten müssten. Er kritisierte die gesamte Berichterstattung der deutschen Medien bislang. Über die Situation der Herkunftsländer werde so gut wie gar nichts berichtet, im Sommer 2015 verfiel man in eine übertriebene Willkommenskultur, die erst mit der Silvesternacht 2015/16 in Köln endete. Auch der Umgang mit der AfD und Fake News müsse erst noch gelernt werden. Nach Eberwein haben Journalisten die Grundpflicht zu publizieren und transparent mit dem Thema umzugehen. Bei der Veröffentlichung von Informationen über Privatpersonen haben Journalisten das Diskriminierungsverbot in Ziffer 12 des Pressekodex zu beachten und müssen immer abwägen zwischen Verschweigen oder Veröffentlichen.
Prof. Dr. Bernhard Debatin (Ohio University, USA) veranschaulichte die mangelnde Integrationskraft der US-amerikanischen Medien im Zeitalter des Populismus am Beispiel Donald Trumps. Er wies ausdrücklich darauf hin, dass Trump nicht die Wähler für sich gewinnen wollte, sondern einzig und allein die Wahlmänner. Trump erzeugte in den Flächenländern eine „Belagerungsstimmung“ für alle Unzufriedenen. Zweidrittel seines Wahlkampfbudgets floss in die sozialen Medien. Hier fütterten er und sein Team ihre Unterstützer mit positiven Nachrichten und säten Zweifel bei den Clinton-Anhängern. So zum Beispiel streute man das Gerücht, Clinton wolle Krieg mit Russland führen und stilisierte damit Trump als das „kleinere Übel“ bei den Linken. Trump und seine Akteure schufen eine radikale Veränderung von Produktion und Distribution von Nachrichten! Wie aber sieht die Zukunft des Journalismus in rechtspopulistischen Regierungen aus? Debatin zeigte hierfür vier Szenarien auf: 1.) Journalistische Medien werden als „Lügenpresse“ diffamiert, die breite Masse informiert sich über Social Media; 2.) Journalisten werden zu „nationalen Sündenböcken“; 3.) Verschärfung des Presserechts, Verfolgung von Journalisten und Schaffung einer „regierungstreuen Presse“; 4.) Unter dem Vorwand eines bevorstehenden Terrorangriffs werden der Ausnahmezustand ausgerufen und die Pressefreiheit eingeschränkt.
Nach Rieke Havertz (ZEIT Online) müssen Journalisten mit dem Vorwurf der Lügenpresse gelassen umgehen, gleichzeitig aber auch ihre Arbeit transparent machen! Dies bedeute über Fehler in der Berichterstattung offen zu berichten, aber auch fair und sachlich mit dem Phänomen Trump umzugehen. „Wir müssen Fakten zusätzlich zu Trumps Aussagen liefern“ und Journalisten müssen sich wieder auf relevante Nachrichten konzentrieren.
Eine Studie der TU Dortmund über die Migrationsberichterstattung in 12 afrikanischen und europäischen Printmedien zeigte, dass in Frankreich am meisten zu diesem Thema berichtet wird (Grund ehemalige französische Kolonien). Am negativsten sei die Berichterstattung in Großbritannien, Italien, Spanien und Deutschland. Am wenigsten berichtet wird über das Thema in den afrikanischen Printmedien. Allen gemeinsam ist, dass die ursächlichen Probleme der Herkunftsländer nicht thematisiert werden.
Fabian Sickenberger (Hochschule Hannover) untersuchte die Berichterstattung über Muslime vor und nach Charlie Hebdo. Untersuchungsleitend war die Frage, ob die Berichterstattung multiperspektivisch gewesen sei. Untersucht wurden die öffentlich-rechtlichen Nachrichtenformate „Tagesthemen“ und „Heute Journal“ in dem Zeitraum von Beginn der Pegida-Demonstrationen 2014 bis zwei Wochen nach dem Anschlag auf Charlie Hebdo 2015. Dabei zeigte sich, dass im „Heute Journal“ deutlich mehr über Islam und Islamismus berichtet wurde, aber auch deutlich mehr Muslime selbst zu Wort kamen. Dennoch konnte von einer multiperspektivischen Berichterstattung nur in den ersten beiden Wochen nach Charlie Hebdo gesprochen werden. Sickenberger wies darauf hin, dass Claus Kleber („Heute Journal“) die ethnische Zugehörigkeit der Täter von Charlie Hebdo konsequent nicht erwähnte, sondern den Fokus auf Terrorismus legte. Nur bei dem als Helden gefeierten Lassana Bathily wurde explizit die Religionszugehörigkeit betont.
Prof. em. Dr. Michael Haller (Hamburg Media School) untersuchte das Wort „Willkommenskultur“ im politischen Diskurs. Dabei zeigte sich, dass das Wort bis 2009 relativ unbekannt war, der Begriff von Sprechern der Industrie und der Arbeitgeber geprägt wurde. Erst in den Jahren 2011/12 forderte die Politik eine neue Willkommenskultur in Deutschland, aber eine Aufnahme des Wortes in die Parteiprogramme fand erst 2014 statt. 2015 kam dann eine neue Tonalität in den medialen Diskurs: Medien übernehmen den Begriff, aber die Semantik schlägt um ins Negative mit Einsetzen des „AfD-/Trump-Effektes“.
Weitere Informationen zur Tagung und weiteren Themenfeldern der Tagung finden Sie unter
Book of Abstracts Tag 2 auf der Websitehttp://www.netzwerk-medienethik.de/jahrestagung/tagung2017/
Sabine Jörk
EAM-Vorsitzende
Bild: Netzwerk Medienehik, Titelbild Jahrestagung
