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Was steckt da wirklich drin?

AEH |

Plastikmüll ist zum begehrten Rohstoff geworden. Nun fertigt Adidas daraus sogar das WM-Trikot der Nationalmannschaft. Alles umweltfreundlich, alles sauber - könnte man denken.

Den folgenden Bericht von Sebastian Kempkens, Christian Salewski und Greta Taubert aus der Zeit Nr. 48 vom 24. November 2022 hat Hannelore Täufer, Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Evangelischer Haushaltsführungskräfte – Förderkreis in Bayern (AEH) gelesen und kommentiert. Er ist zugegen lang, aber wirklich lesenswert. Auch wenn die deutsche Fußball-Nationalmannschaft frühzeitig aus dem Turnier in Katar ausgeschieden ist – das Trikot bleibt.

„Da liegt es. Der weiße Stoff schimmert im Licht, das in den Konferenzraum fällt, hier in einem futuristischen Gebäude in der Nähe der bayerischen Kleinstadt Herzogenaurach. Der Mann, der es geschaffen hat, beugt sich über den Tisch und fährt mit der Hand über den Adler auf der Brust, über die Farben Schwarz, Roth und Gold an der Seite, über die drei Streifen auf den Schultern. Jürgen Rank heißt er, Jürgen, weil sein Vater Jürgen Grabowski so liebte, den deutschen Weltmeister von 1974.

Wie er da steht und auf sein Werk schaut, merkt man Rank an, wie stolz er ist. ‚Für mich ist das Trikot ein Heiligtum‘, sagt er.

Jürgen Rank ist 52 Jahre alt und Chefdesigner bei Adidas. Lange sprecht er über die edleren Farben, die zwischen matt und glänzend variieren, über kleine Details im Muster des Stoffes, über die ‚Belüftungsstruktur‘ des Trikots, die die Luft am Rücken stromlinienförmig entweichen lasse. Er sagt: ‚Wir haben die Wertigkeit noch mal gesteigert, das Engineering im Hauptmaterial ist erste Klasse.‘

Seit fast 20 Jahren ist Jürgen Rank jetzt schon an der Gestaltung der deutschen Nationaltrikots beteiligt. Ein Modell wie dieses aber gab es nie zuvor. Das Trikot sei ein ‚Leuchtstern‘, ein ‚Aushängeschild‘, sagt Rank. Das Besondere sei von Anfang an im Entstehungsprozess angelegt gewesen. Im Januar 2020 ging es los, fast zwei Jahre bevor Deutschland sich überhaupt für die Weltmeisterschaft in Katar qualifizierte. Rank arbeitete mit seinem Team streng abgeschirmt auf einer Büroetage hier auf dem Campus von Adidas, hinter Panzertüren, die nur wenige Befugte öffnen können.

Welche Geschichte, überlegten sie damals, soll das neue Trikot der deutschen Fußballnationalmannschaft erzählen?

Sie hatten eine Präsentationsfolie, die Rank auch Oliver Bierhoff zeigte, dem Geschäftsführer der Nationalmannschaft. Darauf hatten sie geschrieben, wofür das Nationaltrikot stehen sollte. Für Nachhaltigkeit. Im Konferenzraum von Adidas sagt Jürgen Rank: ‚Auch ein Trikot kann helfen, die Welt zu verbessern.‘

Jetzt, da die WM begonnen hat (Anm.: Der Artikel erschien Ende November), hängt es in Sportgeschäften überall im Land und überall auf der Welt. Man kann es bei Adidas bestellen, im DFB-Fanshop, bei anderen Online-Händlern. Es gibt zwei Varianten. Eine günstige für regulär 90 Euro, Adidas nennt sie die ‚Fan-Version‘. Und eine teure für 140 Euro, die ‚Performance-Version‘, die auch die Spieler auf dem Platz tragen. Sie soll besonders nachhaltig sein. Um sie geht es in diesem Dossier.

Im Trikot der ‚Performance-Version‘ findet sich ein QR-Code. Ruft man den Code auf, sieht man Bilder, die den Betrachter in eine weit entfernte Welt geleiten. Meereswellen rauschen gegen einen Felsen, die Kamera rast über einen Strand, über Plastikmüll. Eine Nähmaschine zieht eine Naht. Dann taucht ein Slogan auf: ‚End Plastic Waste‘. Beendet die Plastikverschmutzung.

Kaum einer der großen Sportartikelhersteller brüstet sich so sehr mit seinem Kampf gegen Plastikmüll wie Adidas. Egal ob auf seiner Website oder in seinen Läden, fast überall wirbt Adidas damit, was man alles tue, um die Umwelt zu schützen. Als erster Sportartikelhersteller will das Unternehmen bis zum Jahr 2024 nahezu vollständig auf recyceltes Polyester umsteigen. Das Prinzip, auf das es dabei setzt, klingt so einfach wie genial. Ein großer Teil der Adidas-Produkte besteht aus Polyester. Das lässt sich neu herstellen, dafür braucht man Rohöl. Polyester lässt sich aber auch herstellen, indem man altes Plastik recycelt.

Mit dem Nationaltrikot hebt der Konzern dieses Engagement auf die größtmögliche Bühne. Auch wenn es in Europa gerade viel Kritik gibt an dieser WM – für Adidas ist sei ein ‚brand moment‘, wie sie das intern nennen. Der Moment, auf den es ankommt, um der Marke zum großen Auftritt zu verhelfen. Für das vierte Quartal hoffe man auf einen Umsatzanstieg ‚im zweistelligen Prozentbereich‘, heißt es in einer Pressemitteilung des Unternehmens. ‚Treiber dieses Wachstums‘, unter anderem: das Turnier in Katar.

Ungefähr 50 Millionen Euro zahlt Adidas dem Deutschen Fußball-Bund pro Jahr dafür, die Nationalmannschaft ausstatten zu dürfen. In diesen Wochen zeigt sich, ob sich die Investition für Adidas lohnt. In normalen Jahren werden Schätzungen zufolge etwa 150.000 deutsche Nationaltrikots verkauft. In Jahren, in denen eine Welt- oder eine Europameisterschaft stattfindet, vervielfacht sich der Absatz, laut Adidas liegt er dann im hohen sechsstelligen Bereich. 2014, als Deutschland Weltmeister wurde, wurden sogar rund drei Millionen Trikots verkauft.

Wenn die Weltmeisterschaft ein Laufsteg ist, dieses Bild hatte der Designer Jürgen Rank benutzt, dann ist das Nationaltrikot das wichtigste Outfit. Das Outfit, das allen im Gedächtnis bleibt.

Schaut man sich den Halsausschnitt der ‚Performance-Version‘ genauer an, dann sieht man, das neben dem QR-Code etwas steht: Dieses Trikot sei mit Ozeanplastik hergestellt.

Die bekannteste Polyesterart heißt Polyethylenterephthalat, kurz PET. Warum nicht PET-Flaschen aufsammeln, damit sie nicht die Ozeane vermüllen, und sie recyclen, um daraus Sportmode zu produzieren?

Schon jetzt verkauft Adidas unzählige Produkte aus recyceltem Plastik. Trainingshosen, Laufschuhe, Kapuzenpullover, kaum etwas, das es nicht als recycelte Variante gäbe. Auch die ‚Fan-Version‘ des deutschen Nationaltrikots besteht vollständig aus recycelten Materialien. Aber nicht, wie die ‚Performance-Version‘ aus Ozeanplastik – die Sache mit den Meeren erscheint als Krönung der Recycling-Strategie, als ein besonders einprägsames Symbol dafür, wie der zweitgrößte Sportartikelhersteller der Welt versucht, nachhaltig zu werden.

Einige Mitarbeiter von Adidas würden sagen: vortäuscht, nachhaltig zu werden.

Wir, ein Team der ZEIT und des Medien-Start-ups Flip, das zu Nachhaltigkeit und Greenwashing recherchiert, haben versucht, wie aus altem Plastik ein Kleidungsstück wird, das Fans der deutschen Fußballnationalmannschaft kaufen, ein Trikot, in dem Thomas Müller, Leon Goretzka und die anderen in Katar auflaufen. Wir sprechen mit mehreren Adidas-Mitarbeitern. Und wir bekamen interne Dokumente zugespielt, von Informanten, die nicht länger mit ansehen wollten, was sich hinter der Erzählung von der Nachhaltigkeit in Wahrheit verbirgt.

Malediven

Es ist ein Morgen im Oktober 2022 in Malé, der Hauptstadt der Malediven, der Himmel blau, die Luft tropisch warm, als eine Frau auf ein Speedboot bittet. Sie möchte zeigen, wofür sie kämpft. Oder eher: wogegen. Shaahina Ali, 57 Jahre alt, ist Umweltaktivistin. Sie zieht sich eine Rettungsweste an und gibt dem Kapitän das Zeichen zum Ablegen.

Shaahina Ali arbeitet für eine Umweltorganisation namens Parley for the Oceans, was so viel heißt wie ‚Verhandlung für die Ozeane‘. Gegründet wurde sie von dem deutschen Designer Cyrill Gutsch. Ihr Ziel: die Rettung der Weltmeere. Vor sieben Jahren hat Gutsch eine Kooperation mit Adidas geschlossen. Schon bald danach besuchten Adidas-Mitarbeiter die Malediven, so zeigt es ein Video. Sie schnorchelten zu Korallenriffen, führen auf Booten durch das türkisgrüne Wasser und halfen mit, am Strand Plastik aufzusammeln.

Das Plastikzeitalter hat auch die Malediven nicht verschont. Davon geben all die Plastikflaschen, Plastiktüten und Plastikkanister Zeugnis, die an die Küsten gespült werden und zwischen Muscheln, Korallenstücken und Kokosnussschalen herumliegen. Cyrill Gutsch hat diesen Staat, der aus knapp 1200 Inseln besteht, zur ‚Future Island Nation‘ ausgerufen, zu einer Art Vorzeigeregion. Hier soll man sehen, was möglich ist, wenn man dem Plastik den Kampf ansagt.

Das Speedboot von Shaahina Ali rauscht über die Wellen des Indischen Ozeans, vorbei an Ferienbungolws auf Stelzen, die so unrealistisch schön sind, dass sie aussehen wie Fototapeten. Der Kapitän steuert auf die Insel Keyodhoo zu. Shaahina Ali hat ein Treffen mit der Direktorin der Inselschule organisiert, die schon am Anleger wartet. Über sauber geharkte Sandwege führt die Direktorin zur blau gestrichenen Schule. Auf dem Hof stehen zwei weiße Säcke, voll mit Flaschen aus Plastik. Die Lehrer, Schüler und Eltern haben sich Shaahina Alis Sache angeschlossen und wollen Wegwerfplastik von der Insel verbannen. ‚Bis ich in Rente gehe, will ich auf jeder bewohnten Insel der Malidiven ein Projekt gegen Plastikmüll gestartet haben!‘, sagt Shaahina Ali.

Ziemlich viele Projekte von Parley for the Oceans gibt es hier schon. Man kann auf den Malediven Ferienresorts besuchen, die ihren Plastikmüll in weißen Säcken entsorgen und diese dann an Parley übergeben. Man kann Schulkinder treffen, die in ihrer Freizeit Plastikflaschen sammeln, um den Parley-Wettbewerb zu gewinnen. Man lernt dabei, dass „Ozeanplastik“ ein eher vager Begriff ist. Wer ihn zuerst hört, denkt an Plastik, das aus dem Meer gefischt worden ist. In Wahrheit sind damit auch PET-Flaschen gemeint, die an Land abgefangen werden, in der Nähe der Küste, bevor sie das Meer erreichen. Der Müll aus dem Wasser ist oft zu dreckig, um nur daraus in großen Mengen Textilien herzustellen.

Ökologisch gesehen ist der Unterschied nicht riesig: Auf vielen Inseln der Malediven gibt es keine richtige Müllentsorgung. Durchaus wahrscheinlich also, dass die Flaschen, die in den Ferienresorts und anderswo auf den Inseln gesammelt werden, am Ende ins Meer gelangt wären.

All dieses Plastik recyceln Adidas und Parley for the Ocean gemeinsam, und daraus entsteht dann Polyester.

Das also ist die Geschichte, die Adidas erzählt, mit den Bildern, die jeder Käufer sieht, wenn er den QR-Code aufruft, und mit zahlreichen aufwendig inszenierten Videos, in denen Menschen an tropischen Stränden Flaschen aufsammeln und Shaahina Ali dafür wirbt, Plastik zu vermeiden. E ist eine Geschichte, die wie ein Gruß aus einer besseren Welt wirkt. Und wenn es nach Adidas ginge, wäre sie an dieser Stelle wohl zu Ende.

Dabei fängt sie hier erst an.

Es ist ein ganzer Stoß an Dokumenten aus dem Inneren von Adidas, die uns vorliegen – unter anderem E-Mail-Korrespondenzen, Präsentationen und Kostenaufstellungen. Besonders interessant sind jene Dokumente, aus denen hervorgeht, von wo genau das Ozeanplastik stammt.

In einer Pressemitteilung verkündete der Konzern, mit dem Trikot setze man ‚Adidas‘ anhaltende Engagement fort, einen Beitrag gegen die Plastikverschmutzung zu leisten‘. Das Garn, das Adidas für die 140-Euro-Variante verwende, bestehe zur Hälfte aus ‚Parley Ocean Plastic‘, also ‚recyceltem Plastikmüll, der auf abgelegenen Inseln, an Stränden und in Küstenregionen gesammelt wird, um unsere Meere nicht zu verschmutzen‘.

Laut den Dokumenten, die uns vorliegen, stammt jedoch ein Großteil des Ozeanplastiks, das Adidas für seine Textilien verwendet, nicht von Sammelaktionen wie jenen auf den Malediven, die Parley for the Oceans organisiert und überwacht. Der Anteil, den die Umweltorganisation liefert, ist demnach deutlich kleiner als angegeben – er liegt bei etws 20 Prozent. Die restlichen 80 Prozent stammen aus Ländern, von denen in den Werbevideos rund ums Nationaltrikot nicht die Rede ist, aus einer zweiten Lieferkette, die Adidas selbst organisiert. In den Dokumenten werden sie als ‚Volume Countries‘ bezeichnet. Als Masse-Länder.

Auf unsere Anfrage hin bestätigt Adidas den Befund aus den Dokumenten. Zunächst einmal ganz allgemein, ohne Bezug auf das Nationaltrikot. Das Ozeanplastik für seine Textilien stamme aktuell neben den Malediven auch noch aus der Dominikanischen Republik, aus Thailand und von den Philippinen. ‚Die konkrete Zusammensetzung variiert produktionsbedingt.‘ Im Übrigen sei es unzutreffend, dass man die Öffentlichkeit nicht über die zweite Lieferkette informiere.

Zumindest der Geschäftspartner von Adidas weiß offenbar nicht Bescheid. Cyrill Gutsch, der Chef von Parley for the Oceans, zeigt sich auf Nachfrage überrascht. Thailand und die Philippinen? ‚Das sind nicht die Informationen, die ich bekommen habe.‘ Er sei ziemlich geschockt. In keinem der beiden Länder sammle seine Organisation Plastikmüll für die Textilherstellung, sagt uns Gutsch. Fragt man ihn nach dem Grund dafür, sagt er nur: ‚Der informelle Sektor ist dort ein großes Problem.‘

Im weiteren Artikel wird berichtet, wie die Reporterinnen und Reporter zu den Philippinen reisen. Dort finden sie Kinder und auch Erwachsene, die Plastik sammeln und verkaufen und sich damit eine sehr dürftige Lebensgrundlage verdienen. Über mehrere Zwischenhändler landen die Flaschen in einem Recycling-Center, in dem die Flaschen zu Ballen gepresst werden, weiter nach Valenzuela, einer Stadt im Dunstkreis von Manila, die viele nur Plastik City nennen. Hier werden die Ballen zerkleinert in „Flakes“. Während der Recherche teilt Adidas mit, dass das Trikot nicht mit Plastikabfall von den Philippinen hergestellt wird, sondern von Stränden und aus Küstenregionen Thailands. Diese Information ist auch für Cyrill Gutsch neu – und abenteuerlich. Er meint dazu:“….Für uns ist es sauwichtig, dass wir genau wissen, wie das Garn zusammengesetzt ist. Weil unser Name da draufsteht, ganz einfach. Und wir haben nichts anderes außer unserem Namen. Das ist alles, was wir haben“. Er wird bei Adidas nachfragen.

Im weiteren Beitrag schreiben die Autorinnen und Autoren, dass das Recherche-Team weiter nach Taiwan reist, genau nach Taoyuan, was übersetzt Pfirsichgarten heißt. Allerdings erstrecken sich hier am Chinesischen Meer endlos Werkshallen, Schrottplätze und Chemiewerke. Hier nimmt der Rohstoff für das Nationaltrikot, die Flakes, eine neue Gestalt an. Noch kleiner geschreddert, eingeschmolzen und zu einem Garn gezogen, aus dem später der weiße Stoff des Nationaltrikots gewoben wird. Der Konzern, mit dem Adidas in Taiwan zusammenarbeitet, ist ein gewaltiges Konglomerat, er heißt Far Eastern New Century, kurz FENC und ist der zweitgrößte Hersteller von recyceltem PET weltweit. Einblicke in den Konzern werden verwehrt.

Weiter geht es im Artikel: „… Herbst 2022, das Messegelände von Taipeh. Einmal im Jahr trifft sich hier die Textilwirtschaft des Landes. Webstühle klappern, Garnspulen surren. An fast allen Ständen erzählen einem die Verkäufer die Story von der Nachhaltigkeit. Ihre Yoga-Leggins, Fleece-Pullover, Badeanzüge, Aufnäher, Schnürsenkel, Bündchen, Reißverschlüsse – all das gebe es auch in nachhaltigen Varianten. Kaum ein Zulieferer hier, der nicht teilhaben möchte am Boom: Der Marktpreis für Polyestergarn aus Rohöl liegt laut Branchenexperten derzeit bei etwa 1,55 Dollar pro Kilo. Recyceltes Garn kostet etwa 90 Cent mehr, Garn aus recyceltem Ozeanplastik noch einmal 40 Cent mehr.

Das größte Problem mit der Modeindustrie lässt sich auf eine einfache Formel herunterbrechen: Es gibt von allem zu viel. Und obwohl es schon zu viel ist, wird es immer schneller immer mehr. Kritiker nennen dieses Problem Fast Fashion. Während Umweltschützer in manchen Bereichen Fortschritte sehen – zum Beispiel tun viele Hersteller inzwischen mehr gegen den Einsatz Toxischer Chemikalien als früher- , wird die Massenproduktion einfach immer weiter aufgedreht. In den vergangenen 25 Jahren hat sich die Menge an Textilfasern, die weltweit jedes Jahr hergestellt werden, mehr als verdoppelt. ….

Einer unserer Informanten berichtet zudem, wie große die Überproduktion im Verborgenen ist, abseits der Angebote in den Läden. Die Hersteller eines neuen Produktes basiere auf sogenannten Marketing-Forecasts, also Schätzungen, wie viel davon verkauft werden wird. Dieser Blick in die Glaskugel sei oft fehlerbehaftet, was zu immensen Überschüssen führe, bei den Produkten selbst, aber eben nicht nur dort. Hunderttausende Meter Stoff würden aufgrund von Kalkulationsfehlern nicht verwendet, gelagert – und schließlich zerstört.

Das sportliche Abschneiden der Nationalmannschaft habe große Auswirkungen auf den Verbleib von vielen Tonnen Material, sagt der Informant. ‚Sollte Deutschland früher ausscheiden, muss alles weg, was nicht mehr verwendet werden kann. Es ist bei Adidas ein offenes Geheimnis, dass diese überschüssigen Produkte und Stoffe am Ende vernichtet werden.‘

Laut den Dokumenten reist das Garn aus Taiwan weiter, zu einer vietnamesischen Firma, die auch Werke in China betreibt. Dort wird es zu einem Textil verarbeitet, dort entsteht, was dann an Händler in aller Welt verschifft wird – das deutsche Nationaltrikot.

Man könne denken: Am Ende hat das Trikot keine Auswirkungen mehr auf die Umwelt. Dann wird es einfach nur noch getragen, von Thomas Müller und Leon Goretzka und all den Fans. Und wenn es nicht getragen wird, liegt es in Kleiderschränken, Sporttaschen und Turnbeuteln. Anders als eine billige Plastikflasche, schnell ausgetrunken und unachtsam weggeworfen, kann das fertig produzierte und verkaufte Nationaltrikot erst einmal keinen Schaden anrichten.

In einem etwas heruntergekommenen Büroturm in Hamburg arbeitet eine Frau, die es besser weiß. Elke Fischer heißt sie, ihr Reich liegt im achten Stock, das Labor des Fachbereiches Erdsystemwissenschaften der Universität Hamburg. Elke Fischer leitet eine der führenden deutschen Forschungsgruppen zu mikroskopisch kleinen Kunststoffteilchen. Experten halten Mikroplastik für ein globales Müllproblem. Einer Studie zufolge werden in Deutschland jährlich etwa 446.000 Tonnen Kunststoff in die Umwelt freigesetzt. Ein Großteil davon, etwa 330.000 Tonnen ist Mikroplastik.

Elke Fischer hat die Partikel schon überall gefunden, zum Beispiel in Proben aus menschlichen Lebern und auf Blättern von Bäumen, wo der Wind sie hingetragen hat. Besonders viel Mikroplastik geben synthetische Textilien ab, in Form von Fasern. Mitten in Fischers Labor steht deshalb eine gewöhnliche Waschmaschine. Elke Fischer hat sich bereit erklärt, für uns zu untersuchen, was geschieht, wenn man das Nationaltrikot in die Wäsche steckt.

Die Forscher machen eine Feinwäsche bei 30 Grad, wie auf dem Etikett angegeben. Das Abwasser leiten sie durch ein Analysesieb. Lochgröße 20 Mikrometer. Was das Sieb auffängt, kommt zum Trocknen in eine sogenannte Abdampfschale, die aussieht wie eine gläserne Müslischüssel.

Damit das Experiment aussagekräftig wird, wäscht das Forscherteam drei Trikots, jedes fünf Mal hintereinander. Nach 15 Waschgängen stehen 15 Schalen auf dem Labortisch der Forschungsgruppe.

Sie sei, wird Elke Fischer später sagen, skeptisch gewesen, ob überhaupt eine sichtbare Menge nachweisbar sein würde. Jetzt nimmt sie die Schale mit der Aufschrift 3.1 in die Hand, das Ergebnis des ersten Waschgangs des dritten Trikots. Und man merkt, dass diese Wissenschaftlerin, die sich so gut mit Mikroplastik auskennt wie kaum jemand sonst, ehrlich überrascht ist. Der Boden der Schale ist fast vollständig mit gräulichem Staub bedeckt. Lauter Fasern. ‚Wow, das ist wirklich beeindruckend schlecht‘, sagt Elke Fischer.

Im Schnitt verliert ein neues Nationaltrikot bei den ersten fünf Wäschen hier im Labor 0,35 Gramm an Fasern. Das sind, so werden es weitere Untersuchungen zeigen, ungefähr 68.000 Fasern. Bei einer ganzen Waschmaschinentrommel voller Trikots wäre die Schale, die auf dem Labortisch steht, komplett gefüllt, schätzt Elke Fischer. ‚Schockierend‘.

Sie klemmt einen Papierfilter mit einem Teil des Faserstaubs unter ein Mikroskop. Auf einem Monitor erscheint eine Struktur, wie sie Elke Fischer noch nie gesehen hat. Normalerweise seien die Fasern in ihren Proben relativ lang und unterschiedlich, sagt sie. Diese hier hingegen seien merkwürdig gleichförmig. Etwa einen Millimeter kurz, mit scharf abgebrochenen Enden, wie abgeschnitten – gebrochen durch Kontakt, etwa mit der Waschtrommel.

Woran das liegt? ‚Vermutlich am Recycling‘, sagt Elke Fischer. Studien hätten gezeigt, dass der Recyclingprozess die Fasern schwäche. Die Folge: mehr Abrieb.

Zuletzt platziert eine Mitarbeiterin eine Probe in einen klobigen Kasten, um eine sogenannte Raman-Spektroskopie durchzuführen. Mit der Computermaus steuert sie den Laser des Geräts über eine einzelne Faser und drückt auf Aufnahme. Keine Sekunde später erscheint auf dem Bildschirm eine gezackte Grafik, die an die Ausschläge eines Seismografen erinnert. Es ist eine Art chemisches Grundprofil, die DNA des deutschen Nationaltrikots. Die Wissenschaftlerin gleicht das dargestellte Spektrum mit einer Datenbank ab, dann hat sie das Ergebnis, mit einer Übereinstimmung von 93,53 Prozent: Polyethlenterephthalat.

‚Was man hier sieht‘, sagt Elke Fischer und deutet auf den Monitor, ‚ist eindeutig das Material einer PET-Flasche. Deren Bausteine aus Asien um die halbe Welt gereist sind, um hier zu landen, als Trikot der deutschen Nationalmannschaft. Und stünde die Waschmaschine nicht in einem Labor, sondern in einer ganz normalen Umkleidekabine oder einem ganz normalen Haushalt irgendwo in Deutschland – dann wäre die Reise jetzt noch immer nicht zu Ende.

‚Die Fasern landen mit dem Abwasser aus unseren Waschmaschinen in den Kläranlagen, die nicht in der Lage sind, das alles herauszufiltern‘, sagt Elke Fischer.

Und dann?

‚Geht es über die Flüsse direkt in unsere Meere.‘

Studien zufolge stammen bis zu 35 Prozent des Mikroplastiks in den Weltmeeren aus synthetischer Kleidung. Eine Plastikflasche kann man sehen. Man kann sie aus dem Wasser fischen, man kann sie einsammeln, wo immer sie auch herumliegt. Mikroplastik ist dafür zu klein, viel zu klein. Es verteilt sich in den Ozeanen, reist mit der Strömung umher, erobert den Lebensraum vor der deutschen Küste, vor der Küste Thailands, der Philippinen, der Malediven. Und da bleibt es dann.

Hannelore Täufer hat dazu folgende persönliche Anmerkungen:

a) Zu den Praktiken in der Textilindustrie – hier am Beispiel des Nationaltrikots:

Generell ist die Idee aus Plastik, hier PET-Flaschen Kleidung, Schuhe, ect- herzustellen eine sehr gute Idee. Leider ist die Idee nicht bis zu Ende gedacht – derzeit jedenfalls nicht. Dass Mikrofasern über die Kläranlagen wieder im Meer landen, ist nun wirklich keine neue Information. Es fehlt an gezielter, zügiger und innovativer Forschung. Warum ist das so? Das Prinzip „Forschung braucht Sponsoren“ ist zu überdenken – und das bitte schnell.

b) In eigener Sache:

Unter dem Titel Kleidung: nachhaltig. fair. sozial wird die Arbeitsgemeinschaft Evangelischer Haushaltsführungskräfte (AEH) im Jahr 2023 ein Seminar, Studientage und verschiedene Aktionen anbieten. Beginnend von dem Ausgangsprodukt für eine Faser, über die Riesenberge von Kleidung, erst im Laden, dann beim Entsorgen, über ganz persönliche Möglichkeiten dem Thema Kleidung im eigenen Kleiderschrank auf die Spur zu kommen und wirklich Nachhaltigkeit umzusetzen …. und Vieles mehr.

Einen Einblick in dieses komplexe Themenfeld gibt der – wirklich lange – obige Artikel zum Beispiel Nationaltrikot - der perfekte Einstieg sich der Problematik Nachhaltigkeit und Kleidung zu nähern.

 

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