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Kriegsnot – Ernährung und Teuerung vor hundert Jahren

DEF || Halgard Kuhn

Damals war das Weihnachtsfest zum zweiten Mal im Schützengraben, im Lazarett und in von Sorgen beherrschten Weihnachtsstuben in der Heimat begangen und das Jahr 1916 in vielen Kreisen in Erwartung eines baldigen, inzwischen sehnlichst herbei gewünschten Kriegsendes begonnen worden. Die Stimmung im Volk war in hoffnungslose Verzweiflung umgeschlagen, die Kräfte erheblich strapaziert. Doch der Weltkrieg tobte in großer Ausdehnung und Heftigkeit weiter. Hungersnot, Seuchen und Nervenzusammenbrüche, damals Neurasthesie genannt, breiteten sich aus. Doch die Regierung und die militärische Führung nahmen davon keine Kenntnis, sondern setzten weiterhin auf ein siegreiches Ende.

Der österreichische Dichter Arthur Schnitzler (1862-1931) notierte schon im Mai 1915 in seinem Tagebuch: „Für mich wird immer mehr zum grauenhaftesten dieses Krieges, daß die Geschicke der Welt von einigen wenigen fast ohne (mindestes) Verantwortungsgefühl gemacht werden.“ Der eigentliche Kampf ging um Rohstoffe, um Märkte und um Landgewinn. Die Seeblockade der Alliierten zielte auf Aushungern der Zivilbevölkerung. Die Auswirkungen zeigten sich inzwischen in der katastrophalen Versorgungslage. Sie trafen vorrangig die arme, meist kinderreiche Bevölkerung in den Großstädten, die sich die überteuerten Preise auf dem Schwarzmarkt nicht leisten konnten.

An vielen Stellen fehlten die männlichen Arbeitskräfte und Frauen übernahmen so manche Aufgabe zusätzlich zur erschwerten Haushaltsführung. In einem Beitrag ‚Frauenpflichten in Kriegszeiten‘ hatte Paula Mueller bei Kriegsbeginn darauf hingewiesen, dass der DEF, der seit seiner Gründung Friedensarbeit geleistet habe, bereit sei, „auch die Pflichten der Frau in Kriegszeiten treu zu erfüllen“. Mit Friedensarbeit meinte sie den die Standesschranken überwindenden Einsatz des DEF etwa für die Fabrik- und Heimarbeiterin, für sozial schwache Familien, für Gefallene und Gestrauchelte in der Gefangenenfürsorge, für Waisen- und Heimkinder. All diese Aufgaben standen im Krieg vermehrt an. Ein freundliches Dankesschreiben – hier stellvertretend für viele - an Selma Gräfin v. d. Gröben für den ehrenamtlichen Einsatz in jener Notzeit war da zumindest eine nette Geste. Fast alle Ortsgruppen hatten sich eingebracht im Nationalen Frauendienst, in Zusammenarbeit mit dem Vaterländischen Verein oder beim Roten Kreuz, um mitzuarbeiten, um Not zu lindern. Das waren vorrangig organisatorische Aufgaben zusammen mit den städtischen Verwaltungen. Sie sahen überall etwas unterschiedlich aus, zumal es nur in Großstädten Fürsorge- oder Wohlfahrtsämter gab. Daher lässt sich der Anteil der DEF-Arbeit nicht allgemein herauskristallisieren, aber die DEF Damen standen mehrheitlich mit an der Spitze, denn sie hatten bereits jahrelange Erfahrung in der sozialen Verantwortung für das Gemeinwohl sammeln können. Nicht zu vergessen die ehemaligen Schülerinnen des Christlich-Sozialen Frauenseminars (CSF), deren Leistungen überall höchste Anerkennung fanden.

Kein Wunder, dass die Anmeldungen im Seminar sprunghaft anstiegen und eine zweite Klasse eingerichtet werden konnte. Eine differenzierte Darstellung gelingt für die Evangelischen Jugendgruppen für soziale Hilfsarbeit, die 1904 vom DEF in Koblenz ins Leben gerufen worden waren und nun ihre theoretischen Kenntnisse in vielen praktischen Hilfsaktionen verwirklichen konnten. In ihrer ab 1916 erscheinenden Verbandszeitschrift ‚Werden und Wirken‘, herausgegeben von Friede Rothig, einer ehemaligen Schülerin des CSF, finden sich viele begeisterte Berichte über die geleisteten Aktionen. Das reichte vom Ernteeinsatz bis zur Verteilung von Essen an Kranke und Bedürftige, zu Kinderbetreuung oder das Angebot an berufstätige Mütter, die zerrissene Kinderkleidung und die Wäsche zu flicken. Die zunehmende Verknappung von Lebensmitteln betraf auch die vom DEF unterhaltenen Häuser, die allerdings meistens am Stadtrand lagen und große Gärten hatten, in denen nun vermehrt Obst, Gemüse und Kartoffeln angebaut wurden. Dennoch war die Lage äußerst angespannt und höchst beschwerlich.

Schon Anfang 1915 war es zur Rationierung von Brot gekommen. Milch, Fett, Fleisch und Eier waren nur noch auf Karten zu erhalten. Selbst Kartoffeln wurden knapp. Der zum Leben notwendige Bedarf an Kalorien pro Tag wurde auf die Hälfte reduziert. Reis, Hülsenfrüchte und alle sogenannten Kolonialwaren fehlten durch das Einfuhrverbot ganz. Es gab 11.000 minderwertige Ersatzprodukte – Butterersatz, Salatölersatz, Ersatzmarmelade usw.

Die Damen des DEF, kaisertreu und deutschnational und von einem fast tragisch zu nennenden Pflichtbewusstsein, boten Kochkurse zum Erstellen von ‚kriegsgemäßen Gerichten‘ an, verteilten Unmengen von Kriegskochbüchern und Faltblätter, die Anweisungen enthielten, wie mit vorhandenen Nahrungsmitteln umzugehen war, trafen Vereinbarungen mit den Landfrauen, um den Zwischenhandel auszuschalten und günstiger einkaufen zu können, und boten Beratung zur Vorratshaltung an. Der Winter 1916/17 wurde zum legendären Steckrübenwinter. Aus der Steckrübe konnte man angeblich alles machen. Bei allen Rezepten der Hinweis, es sollte Nährhefe hinzugefügt werden. [Sie ist reich an Nährwerten und Vitaminen.]

Rezepte zur Resteverwertung wurden überall verbreitet und die Kochkiste - samt Anleitung zur Herstellung - stand hoch im Kurs. Eine kleine Broschüre ‚Ernährung und Teuerung‘, herausgegeben vom Ministerium des Innern im Früh jahr 1916, erschließt die Situation im Kapitel ‚Ernährung im Kriege‘ recht anschaulich.

 „Es galt, bis in das letzte Dorf unseres Vaterlandes die Erkenntnis zu tragen, daß ein Teil des mit den Waffen geführten Krieges der Wirtschaftskrieg ist, der zum Siege geführt werden muß durch Gesetze und Verord nungen des Staates, durch die tapfere, opferwillige Mitarbeit jedes Mannes, jeder deutschen Frau ohne Unterschied von Stand und Beruf.“

Der Ausbruch des Krieges war zur Erntezeit erfolgt. Die Ernte musste dennoch eingebracht werden. „Jeder Deutsche verstand, daß kein Arm fehlen durfte zur Verteidigung der teuren Heimat. Vom Jüngling bis zum ergrauten Mann eilten Deutschlands Männer unter die Fahnen. Die Frauen trugen stark ihr schweres Geschick und griffen, wo es not tat, die verwaiste Arbeit an. Deutschland war in wenigen Tagen in vollendeter Kampfbereitschaft. Enttäuscht mußten die Feinde einsehen, daß die Überraschung des Überfalls mißlungen war.“ Der Überfall, der freilich keiner war. Zunächst gab es noch genügend Vorräte, der Mangel setzte erst allmählich ein. Da noch ausreichend Saatgut vorhanden war und im Frühjahr 1915 aus dem Feld Arbeitskräfte zur Aussaat freigestellt worden waren, ferner eine sparsame Rationierung begann, schien sich auch die Getreideernte im zweiten Kriegsjahr wieder günstig zu gestalten. Doch durch ungünstiges Wetter fiel sie um ein Viertel knapper aus. Es kam zu heftigem Preisanstieg, sodass Höchstpreise festgesetzt werden mussten. „Vor allem aber trieb das Ausland stets die Preise in die Höhe, sobald es erkannte, daß das in den Krieg verwickelte Land die Erzeugnisse notwendig brauchte.“

Das war eine uralte Erfahrung in Kriegszeiten. Da seit Beginn des Krieges die Absperrung der Einfuhren nach Deutschland bestand, habe der „gegenwärtige Krieg, der ohne Beispiel in der Weltgeschichte ist, für Deutschland alle wirtschaftlichen Kriegsschwierigkeiten ins Gewaltige gesteigert.“

Dazu gehörte auch eins der Hauptnahrungsmittel, die Kartoffel. Durch die starke Frequentierung des Eisenbahnnetzes durch das Militär waren mehrfach in östlichen Gebieten, wo die Ernte erst recht spät erfolgen konnte, Kartoffellieferungen erfroren, weil sie nicht frühzeitig hatten abtransportiert werden können. Der Krieg ging ins Uferlose, doch ein Ende war nicht in Sicht, auch wenn der Wunsch danach groß war. Die bekannte Graphikerin Käthe Kollwitz (1867-1945) notierte am Jahresende in ihrem Tagebuch: „Das Jahr 1916 war sehr schwer. Wohl geht man in das nächste mit dem Gefühl, es wird Frieden bringen. Aber noch keine Freude. Die Menschen sind zu sehr zu Boden gedrückt.“ Das Jahr 1917 brachte - wie wir wissen - zwar etliche Friedensinitiativen und Friedensappelle, doch keineswegs Frieden. Der ließ noch zwei Jahre auf sich warten. Heute fragt die Geschichtswissenschaft nach der Mitverantwortung der Frauen durch ihr Engagement in bedrängter Zeit.

Halgard Kuhn

 

Quelle: def aktuell 2016-1

Bildquelle: Drehen von Granaten: in: Lüders, Marie-Elisabeth: Das unbekannte Heer, Berlin 1936, S. 177b; Bestand Stiftung Archiv der deutschen Frauenbewegung; Krieg und Küche: Plakat, in: Jahrbuch des Bundes Deutscher Frauenvereine 1916, hg. von Elisabeth Altmann- Gottheiner, Leipzig [u.a.] 1916, S. 143a.

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