Zum Hauptinhalt springen

100 Jahre Frauenwahlrecht - und heute?

DEF |

Zur Aktualität dieses Jubiläums

Schon im Sommer 2017 vor der Bundestagswahl riefen die ersten Verbände die „100 Jahre Frauenwahlrecht“ aus. Tatsächlich ist das Jubiläum erst Ende 2018 oder gar Anfang 2019 zu feiern: Im November 1918 nach dem Ende des Ersten Weltkriegs, als der Kaiser abgedankt und ins niederländische Exil verschwunden war, als in Deutschland aus der Revolution schließlich die erste Republik sich formte, wurde das Frauenwahlrecht Gesetz. Und im Januar 1919 konnten die Frauen in Deutschland erstmals von ihrem aktiven und passiven Wahlrecht Gebrauch machen. In Bayern fanden die ersten für Frauen zugelassenen Wahlen sogar schon eine Woche eher statt, die der Bayerische Landtag vor dem Reichstag gewählt wurde.

Vorausgegangen waren auch in dieser Frage des Frauenwahlrechts jahrzehntelange Kämpfe. Die Wurzeln dafür liegen bereits im 18. Jahrhundert, in der Zeit der Aufklärung und der Französischen Revolution. Die Literatin und Essayistin Olympe de Gouges reagierte auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Französischen Revolution, in der Frauen nicht einmal mitgedacht waren, mit einer eigenen Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin (1791).

An der entstehenden größeren Öffentlichkeit, an der Debatte der sich emanzipierenden bürgerlichen Gesellschaft nahmen Frauen regen Anteil. Sie übten in den Familiengesprächen, als Briefeschreiberinnen, in den Salons, den neuen Zeitungen und Magazinen und in der literarischen Welt ihren Einfluss aus. Sie waren Schriftstellerinnen und Publizistinnen, Journalistinnen. Oft genug wurden sie im im 19. Jahrhundert und frühen 20. Jahrhundert sogar selbst zu Herausgeberinnen von Publikationen. Die Zensur machte es erforderlich, oft den Titel zu ändern, nicht den verfolgten freiheitlichen Inhalt!

Dies ist die eine Wurzel der im 19. Jahrhundert in Deutschland entstandenen Frauenbewegung, die das Wahlrecht forderte, in verschiedener Stärke. Die andere Wurzel ist die Industrialisierung und das mit ihr einhergehende massenhafte Elend an den großen Industriestandorten. Schlechte Arbeits- und Wohnverhältnisse, sehr lange Arbeitszeiten, und zwar nicht nur für Erwachsene, sondern auch für Kinder,  Rechtlosigkeit, aus der eine soziale Frage entstanden war. Die entstandene Frauenbewegung war breit aufgefächert zwischen konservativen und liberalen Kräften in der bürgerlichen Frauenbewegung und der proletarischen Frauenbewegung, die aber in der sozialistischen Theorie nicht mehr als ein Teil des zentralen Klassenkampfes um die Gleichberechtigung sein sollte. Es gab in beiden Lagern der Frauenbewegung in Teilen Unverständnis und Ablehnung, aber auch Frauen, die Brücken schlagen konnten.

Frauen waren jahrzehntelang von Vereinen und dem Besuch politischer Versammlungen ausgeschlossen.  Das Wahlrecht war nur eine der großen Forderungen der Frauenbewegung. 1902 gründeten die erste deutsche Juristin Anita Augspurg, die noch im Ausland hatte die Rechte studieren müssen, zusammen mit der aus Hamburg stammenden Lida Gustava Heymann und Minna Cauer den Deutschen Verein für Frauenstimmrecht. Sie taten dies in Hamburg, wo das Vereinsrecht traditionell liberaler war und Frauen diese Möglichkeit bot. Zwei Jahre darauf wurde in Berlin eine internationale Vereinigung für das Frauenstimmrecht gegründet. Ein Werben für die Sache des Frauenstimmrechts war möglich, aber im sich auf den Krieg rüstenden Kaiserreich war es nicht zu erlangen. Auch Teile der bürgerlichen Frauenbewegung lehnten es übrigens ab, weil sie darin die auch beabsichtigte Stärkung vor allem für die angstauslösende sozialistische Bewegung  erkannten, die nicht zu einer starken politischen Kraft werden sollte.

Nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg kam die Revolution und mit ihr die Bestimmung, die den Frauen das aktive und passive Wahlrecht zugestand. Das war eine große Chance, die dann auch alle Teile der Frauenbewegung ergriffen. Frauen haben sich an den ersten Wahlen in der Weimarer Republik begeistert zu 82 Prozent  beteiligt und haben auch Mandate errungen. Bei den Reichstagswahlen am 19. Januar 1919 kamen  37 Frauen von 423 Abgeordneten ins Parlament, das ist ein Frauenanteil von 8,7 Prozent.

Aber was soll uns das eigentlich heute? Ja ja, es ist ein schönes Jubiläum, aber ein Jahrhundert, ist das nicht unvorstellbar lange her? Hat uns das heute irgendetwas zu sagen?

Der Nationalsozialismus hatte Frauen aus hohen Positionen in allen Bereichen außer dem häuslichen verdrängt, und das änderte sich auch in der Nachkriegszeit in der jungen Bundesrepublik nicht wesentlich. Doch im Gefolge der Studentenbewegung der 60er-Jahre entstand auch eine neue Frauenbewegung, wie auch die Friedensbewegung und die Umweltbewegung. Übrigens wurde erst mit dem Einzug der „Grünen“ ins Parlament wieder ein Frauenanteil von über 8 Prozent erreicht, wie es ihn im ersten Reichstag gegeben hatte!

Dabei hatte die Juristin Elisabeth Selbert es 1948/49 unterstützt von den Frauenverbänden im ganzen Land im Parlamentarischen Rat  unter großen Schwierigkeiten erreicht, die Gleichberechtigung als ein Grundrecht im Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland zu verankern (Artikel 3, Absatz 2 GG). Ein Grundrecht, das bedeutet, es ist staatlich garantiert und rechtlich einklagbar. Das war genau Selberts Absicht - und Weitsicht - gewesen. Dennoch erhielt sie selbst kein hohes politisches Amt und wurde auch nicht Richterin am Bundesverfassungsgericht, wie es ein von ihr gehegter Wunsch gewesen war. Gegen Ende ihres langen Lebens - sie starb  1982 - konstatierte sie: "Die mangelnde Heranziehung von Frauen zu öffentlichen Ämtern und ihre geringe Beteiligung in den Parlamenten ist doch schlicht Verfassungsbruch in Permanenz."

Damit Frauen ihnen wichtige Angelegenheiten sowie ihre eigene Sichtweise in die politischen Entscheidungen einbringen können, sollten mehr Frauen Abgeordnete in den Parlamenten sein. Da sie bei den parteiinternen Aufstellungen oft zuwenig Berücksichtigung finden, und freiwillig keine Bewegung in die Sache kommt, wird in mehreren Bundesländern, darunter auch Bayern, versucht, mit juristischen Mitteln, eine Änderung der Wahlrechte hin zu einer paritätischen Listenaufstellung mit gleich viel Frauen und Männern und eine möglichst gleiche Repräsentanz im Parlament zu erreichen. Dies heißt nach dem Vorbild der französischen Wahlgesetze „Parité“.

Zudem versuchen Frauenverbände vor allen Wahlen, Frauen auf Unterstützerinnen von Frauen auf den Wahllisten zu gewinnen. „Frauen wählen Frauen“, diese Aktionen des Stadtbunds Münchner Frauenverbände und sicher auch andernorts hatten stets vor Wahlen das Ziel, Frauen auf ihre Möglichkeiten bei Wahlen aufmerksam zu machen. Bei Europa- und Bundestagswahlen sind diese gering, da in den Listen nicht gehäufelt werden kann. Aber in den Listen zum Landtag und vor allem zu den Kommunalwahlen ist es möglich, durch Kumulieren (Häufeln) und Panaschieren (Streichen) Frauen gezielt nach vorne zu bringen. Wählerinnen können überdies Frauen helfen, Abgeordnete im Bayerischen Landtag zu werden, indem sie mit der Zweitstimme auf der sie interessierenden Liste eine Frau aus ihrem Regierungsbezirk gezielt ankreuzen.

Nach Jahren einer gewissen Wahlmüdigkeit und Interesselosigkeit oder bestenfalls Protestwahl ist das Bewusstsein, als Bürgerinnen und Bürger etwas für die Demokratie tun zu müssen, bei vielen Menschen wieder gewachsen. Das Mindeste ist, von dem Wahlrecht, für das so viele Menschen Jahrzehnte gekämpft haben, Gebrauch zu machen. Und wir Frauen können uns an den mutigen Streiterinnen für das Frauenwahlrecht von vor 100 Jahren ein Beispiel nehmen und uns für uns wichtige Fragen auf allen gesellschaftlichen und politischen Ebenen einsetzen, denn die Erfahrung zeigt, dass sie immer erst in Jahrzehnten errungen werden. Und Frauen können auch die überzeugenden Frauen unterstützen, die bereits Abgeordnete sind oder sich dafür als Kandidatin zur Verfügung stellen. Fangen wir mit den Wahlen doch einmal an!

Bettina Marquis

Zurück

Kontakt

Nehmen Sie Kontakt mit uns auf. Wir sind für Sie da!

Deutscher Evangelischer Frauenbund Landesverband Bayern e. V.

Geschäftsstelle
Kufsteiner Platz 1
81679 München

Tel.: 089 /98 105 788
Fax: 089 /98 105 789

info(at)def-bayern.de

Bankverbindung: Evangelische Bank
IBAN: DE19 5206 0410 0003 5080 56
BIC:    GENODEF1EK1

Hausbüro (Vermietungen)
Termin vereinbaren: Tel. 0176 / 577 67 668

Bürozeiten:

Mo,Mitt.,Do:8.00 bis 16.00 Uhr
Di: 8.00 bis 13.00 Uhr
Fr.8.00 bis 13.00 Uhr

Geschäftsführende Vorständin: 
Katharina Geiger
katharina.geiger(at)def-bayern.de

Geschäftsstelle:
Büroleiterin Maren Puls
info(at)def-bayern.de

Hausbüro (Vermietungen)
Hausmutter Sigrid Fernando
hausbuero(at)def-bayern.de

Pflichtangaben

Seit 2009 ist der Landesverband nach dem Qualitätsmanagementsystem QVB zertifiziert. http://www.procum-cert.de/